Es ist schon faszinierend so ein Schiff. Wir sind an Bord eines RoRo-Frachters, das bedeutet Roll-on-Roll-off – ein Frachtschiff, auf das die Kontainer zusammen mit den Lastern rollen. 160 LKW passen auf das Schiff – und wir. Unsere Micras stehen in einer kleinen Ecke unter Deck, an die sowieso kein Laster gepasst hätte. Ausserdem sind wir alle vier mit aufs Schiff gekommen – damit sind wir vier von nur zwölf Passagieren – für mehr „Fahrer“ ist dieses Schiff nicht zugelassen.
Nun geht’s rauf zu den Kabinen – die sind ja riesig. Wir beziehen zwei 2er-Kabinen mit bestimmt je 15qm, Sessel, Sofa, Schrank, Bad, Doppelstockbett und Fenster nach Steuerbord. Dann geht es noch auf Erkundungstour: Offiziersmesse, Crewmesse und „Drivers Mess„. Wäscherei, Fitnessraum mit Tischtennisplatte und die Mannschaftsquartiere sind im übergeordneten Sicherheitslevel, so dass wir dort theoretisch keinen Zugang haben. Die erste Nacht auf dem Schiff verbringen wir im Hafen, am nächsten Tag soll das Schiff gegen Mittag ablegen. Gegen elf legen wir ab.
Ein Schlepper manövriert uns aus dem Hafenbecken. Es folgt der Blick zurück auf das immer kleiner werdende Panorama rund um den Hafen, die Küste, Iskenderun und die mächtigen, teils schneebedeckten Berge. Der nächste Berg mit Schneehaube, den wir zu sehen bekommen, ist hoffentlich der Kilimandscharo. Danach erklimmen wir die oberen Decks des Dampfers – über die Aussentreppen ist das noch möglich – bis zu dem Bereich vor der Brücke. Als ich mich später nocheinmal alleine auf das oberste Deck begebe, kommt ein Crewmitglied mit Overall aus der Brücke und fragt woher ich denn käme. Frage zwei beinhaltet die Einladung zum Kaffee, die ich auch als Teetrinker ungern ausschlage.
So fand ich mich eine Minute später im hinteren Teil der Brücke wieder. Mein Gegenüber erzählt vom Seefahren, der aktuellen Route, dem neuen Ziel Haifa und von Ägypten. Wir gehen über die Brücke, er spielt an den Instrumenten herum, zeigt mir dies und jenes. Ein weiteres Crewmitglied kommt auf mich zu und stellt sich korrekt und etwas steif vor: „Second Officer“. Später erklärt der mir, dass ich hier nicht sein dürfte und ich als Fahrer meinen Schiffsbereich nicht verlassen dürfe. Ich verwies‘ auf die Einladung seines Kollegen – ja, dieses Mal wäre es ok.
Es war also Zeit herauszufinden wer mein neuer Freund war. Dem Erscheinungsbild nach könnte es Hausmeister, Küchenhilfe oder ein Mitglied der Putzkolonne sein. Dschingis, sein Name, mehr wollte er scheinbar nicht preisgeben und fragte stattdessen lieber mich aus. Ob ich denn mal mit ’nach unten‘ kommen wolle – klar! Es ging viele Etagen abwärts. ‚Unter Tage‘, im Maschinenkontrollraum wurden mir weitere Crewmitglieder vorgestellt. „Das ist der First Engineer, das der Second Engineer … und dann im Neben-Nachsatz: ich bin der „Chief Engineer„.
Die Tatsache, dass wir sofort nach dem Hinsetzen im Kontrollraum einen frischen Tee vor der Nase stehen hatten, hätte mich gleich ‚auf den richtigen Dampfer‘ bringen können. 😉 Nun gings weiter – zuerst sollte ich mir Ohrmuscheln aufsetzen – und dann ab in den Maschinenraum! Was es hier zu sehen gab, war für einen, der in letzter Zeit viel an einem sehr kleinen Micra-Motor herumgeschraubt hatte, amüsant, interessant und vor allem äusserst kurzweilig. Zylinderköpfe so groß wie unser gesamter Motor, Generatoren, so groß wie ganze Autos. Selbst die Einspritzpumpe würde kaum in den Micra passen.
Ersatzteile werden hier übrigens nur begrenzt mitgenommen – in einer kleinen Werkstattecke im Maschinenraum steht der zweite Ingenieur an einer Metallbearbeitungsmaschine und biegt sich aus allerlei Metallrohlingen seine Ersatzteile zurecht. Auch die neue Halterung für einen der Rettungsreifen wird hier gerade angefertigt. Für die zwei 9-Zyliner-Motoren mit 71Liter Hubraum (pro Zylinder!) ist nur ein einziger Zylinderkopf als Ersatz im Gepäck. 639 Liter Hubraum – kurz nachgerechnet: grob das 639-fache unseres Motors .Dafür läuft aber auch nur einer der Motoren, der andere wird erst gestartet, wenn der erste Motor ausfällt.
Die normale Betriebstemperatur am Zylinder beträgt übrigens 420°C. Laufen beide Motoren zusammen, schafft es der Frachter auf stattliche 22,8Knoten Fahrt. Nun läuft ein Motor auf etwa 70% Leistung und schiebt uns damit mit zirka 12Knoten (~20km/h) übers Mittelmeer. 2x 8100KW, also insgesamt 22.000PS Leistung sind hier abrufbar. Durch den ohrenbetäubenden Lärm und die Ohrmuscheln ist eine Verständigung quasi unmöglich. Zur Erkläuterung der Technik im Maschinenraum malt und schreibt Dschingis für mich mit Kreide die Komponenten auf.
Nach dieser spektakulären Führung trinken wir noch einen Tee im Maschinenkontrollraum. Scheinbar besteht der Job des Chefingenieurs hauptsächlich aus Teetrinken – jedenfalls solange alles am Schnürchen läuft. Immermal kommen Mechaniker herein und zeigen dem Chef Protokolle und Messergebnisse vor, die dieser zwischendurch abhakt, quittiert oder mit erklärenden Skizzen versieht. Auch hier kommt die Kreide wieder zum Einsatz und der Kontrolltisch vor den Monitoren wird vollgekritzelt. Auch Hotelempfehlungen für mich finden per Kreidestrich ihre Vervollständigung auf dem Pult. Er hat sein Schiff einfach im Griff – und freilich ist ihm sein Amtskollege von Raumschiff Enterprise bekannt.
Nach dem ausführlichen Plausch unter Tage wird die Schiffsführung mit Heck-Besichtigung und Kombüsen, sowie Vorratsräumen komplettiert. Am Heck gibt’s noch eine Vorführung: hier steht ein Hilfsgenerator, der im Notfall Strom für den gesamten Kahn liefern kann. Kurzerhand nimmt ‚Scottie‚ den dortigen Telefonhörer in die Hand und gibt ein paar Anweisungen in den Maschinenraum durch. Danach drückt er einen Knopf und der mannshohe Generator springt an. Wie ein Kind freut sich dabei der Chefschrauber, als der trommelfellstrapazierende Lärm startet und die Haare im starken Wind der Kühlung flattern. Vorratsräume des Schiffs sind in dreifacher Ausführung vorhanden, einer für Fisch, einer für Fleisch, einer für Gemüse. Im Fleischraum lagert der Chefingenieur seine selbstgefangenen Fische (damit sie nicht versehentlich mit den anderen Fischen aus dem Fisch-Kühlraum für die Crew verkocht werden).
Den nächsten Tee gibt’s dann in Scotties Kabine. Die ist so groß wie der Aufenthaltsraum für alle Passagiere. Einmal einen Hörer in die Hand genommen und schon steht ein Matrose mit frischem Tee in der Tür. Dazu gibt’s selbstgebackenes und gekochtes von seiner Frau – per Cargoexpress schickte sie leckere Weinblatt-ummantelte Reisröllchen und Kekse. Anschließend gibt’s noch einen Kaffee, der aufgrund der Schiffsvibrationen an seiner Oberfläche eine stehende Welle bildet (siehe Bild). Ein lustiges Hobby hat der Mann noch: zum Leidwesen seiner Frau sammelt er Kaffeeservices! Ein kleines Set mit Tablett geht als Geschenk an mich.
Als er anschließend noch einen Paulaner-Maßkrug aus dem Schrank hervorzaubert, habe ich die Idee zum perfekten Dankeschön für diesen ereignisreichen Nachmittag: ein Bier aus meiner Heimatstadt Saalfeld, das unten im Micra schlummert. Ohne einen Anruf vom Kaffeeservicesammler wäre ich gar nicht in den Frachtraum gekommen – so aber war es mir ein Leichtes in Begleitung eines Matrosen die Micras zu erreichen, die hinter einem alarmgesicherten Schot parkten.
Achja – und: das Schiff wurde in Flensburg gebaut. Im Jahr 2006. Viele Grüße nach Hause!
wie cooooool!
wünsche euch noch viele tolle Eindrücke!